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Eine Reise auf dem Beuys-Radweg

Befragt man die Deutschen nach Joseph Beuys (1921 – 1986), dann sind sie sich ziemlich uneinig. Die einen halten ihn für den größten bildenden Künstler der Gegenwart, die anderen eher für einen Scharlatan, der die Leute nur auf den Arm nehmen wollte. Pünktlich zu seinem 100. Geburtstag gab es in Deutschland viele Ausstellungen über Beuys. Das Bundesland NordrheinWestfalen hat sogar eigens einen Radweg geschaffen, der die wichtigsten Orte, an denen Beuys wirkte, miteinander verbindet. Da wir schon immer die Gegend näher kennen lernen wollten, wo Beuys gelebt und gearbeitet hat, haben wir im August dieses Jahres eine Radtour auf dem Beuys-Radweg gemacht.

LSU4980761 Portrait of Joseph Beuys (1921-1986), German artist; (add.info.: Portrait of Joseph Beuys (1921-1986), German artist. Photography, Paris, 1985.); © Laurence Sudre; .

Unsere Fahrradreise begann in DüsseldorfMeerbusch, wo der junge, noch unbekannte Künstler ein Mahnmal zum Gedenken der Toten in den beiden Weltkriegen geschaffen hatte. Ein großes Kreuz aus Holz, das an den auferstandenen Christus erinnert, hängt in einem alten Kirchturm. In den hölzernen Außentüren hatte Beuys die Namen der Gefallenen eingraviert. Das Kunstwerk hat uns sehr berührt. Der Kirchturm war frei zugänglich und kostete keinen Eintritt. Nicht weit davon entfernt konnten wir einen Grabstein bewundern, den Beuys als Student nach den Entwürfen seines Professors schuf.

Auf dem Weg in die Innenstadt von Düsseldorf kamen wir auch in den Rheinauen an einem riesigen steinernen »Beuys-Kopf« vorbei, den Anatol, ein Schüler von Beuys, geschaffen hatte. Der Rhein ist der größte Fluss in Deutschland. Er entspringt in der Schweiz, bildet die natürliche Grenze zwischen Frankreich und Deutschland und fließt schließlich über Deutschland und Holland in die Nordsee. Mit dem Blick auf den

Anatol war eigentlich von bürgerlichem Beruf Verkehrspolizist. Nachdem er Beuys kennengelernt hatte, begann er selbst künstlerisch tätig zu werden. So baute er unter anderem aus einem großen Baumstamm ein Kanu, mit dem er in einer berühmten Kunstaktion Beuys über den Rhein fuhr.

In Düsseldorf fuhren wir schließlich an seinem Wohnhaus und Atelier vorbei. Dort lebte er mit seiner Familie. Es ist allerdings inzwischen verkauft. Doch eine Gedenkplatte erinnert an den bedeutenden Künstler. Ein paar Meter weiter findet sich der Platz, an dem Beuys in einer Galerie seine Werke ausstellte und verkaufte. Sein Künstlerkollege Andy Warhol hatte diesen Platz in einer Grafik verewigt. Nicht weit davon entfernt konnten wir das Originalkunstwerk von Warhol im Empfangszimmer eines Anwaltsbüros bewundern.

Dann kamen wir an zwei Kneipen vorbei, in denen der berühmte Künstler viel Zeit mit seinen Studenten verbrachte. Natürlich haben wir angehalten, etwas gegessen sowie ein Altbier getrunken. Von dort sind es nur ein paar Meter zur Kunstakademie, wo Beuys als Professor gelehrt hat. Er war sehr beliebt bei seinen Studenten. Leider wurde er entlassen, weil immer mehr Studenten nur in seiner Klasse studieren wollten und er nie jemand abgelehnt hat. Schließlich platzte die Akademie aus allen Nähten und die anderen Professoren wurden immer eifersüchtiger. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen. Als Beuys schließlich mit seinen Studenten die Büroräume der Akademie besetzt hatte, um sich für deren Aufnahme in seine Klasse einzusetzen, war für seinen Arbeitgeber das Maß endgültig voll und er musste gehen. Für seine Künstlerkarriere war das kein Nachteil.

In der Innenstadt von Düsseldorf besichtigten wir noch zwei Museen, in denen Werke von Beuys ausgestellt wurden. Die Kunsthalle selbst war vorübergehend geschlossen, weil dort eine neue Ausstellung vorbereitet wurde. An der Außenwand ragt ein Ofenrohr aus der Mauer. Diese Arbeit wurde 1981 zur Ausstellung »Schwarz« von Joseph Beuys angebracht und endet im Ausstellungssaal als ein schwarzes, verrußtes Loch. Schließlich gelang es uns, einen Angestellten der Kunsthalle zu überreden, dass
wir einen Blick von innen auf das Loch werfen dürften. Dabei mussten wir hoch und heilig versprechen, dass wir keine Fotos von der kommenden Ausstellung machen, die gerade vorbereitet wurde. Und in der Tat, wir schauten von innen auf ein rabenschwarzes Loch. Beuys hat damals sein Kunstwerk folgendermaßen kommentiert:
Es soll als Zeichen des Luft- und Gedankenaustausches zwischen Innen und Außen verstanden werden.

Nicht weit vom Landesparlament entfernt stießen wir auf eine Eiche mit einem größeren Basaltstein daneben. Beuys hat allein 7000 dieser Bäume mit begleitendem Stein zur »documenta 7« in Kassel aufgestellt, aber auch in anderen Städten wie in Düsseldorf. Beuys bezeichnete das Projekt als »soziale Plastik«, weil es sehr anschaulich seine Theorie vom »erweiterten Kunstbegriff« verdeutlicht. Dabei geht Beuys davon aus, dass alle flüssigen Ideen, die die Menschheit je verwirklicht hat, mit der Zeit verhärten.

Am zweiten Tag ging es weiter von Neuss zum Museum auf der Insel Hombroich. Dort war das Atelier von Anatol zu besichtigen. Schon einige Kilometer davor finden sich AnatolSkulpturen links und rechts der Straße. Sein Atelier ist eine riesige Ansammlung von Schrottskulpturen und Steinen, in die Darstellungen eingeritzt waren. Beeindruckend war auch ein großer Steinkreis von gravierten Felsbrocken. Daneben stellten auch noch andere Künstler ihre Skulpturen aus. Ein paar Meter weiter auf einer früheren Raketenstation hat sich die »Langen Foundation« in einem kühnen Museumsbau von Tadao Ando angesiedelt. Dort läuft gerade eine Ausstellung von Daniel Spoerri, einem ehemaligen Mitstreiter von Beuys. Daneben gibt es auf der Raketenstation weitere originelle Bauten von berühmten Architekten. Die jüngste Errungenschaft ist das »Ein-Stein Teehaus« als Baumhaus auf Stelzen von Terunobu Fujimori.

In Mönchengladbach, einem sozialen Brennpunkt im Ruhrgebiet, lag dann das Museum Abteiberg auf unserem Weg. Beuys hatte dort seine erste wichtige Ausstellung, die ihn schlagartig berühmt gemacht hat. Das Museum muss deshalb als wichtige Wegmarke von Beuys angesehen werden. Allerdings konnte der dortige Museumsdirektor die Kunstwerke von Beuys nicht lange halten. Mönchengladbach ist nicht vermögend und so musste fast alles wieder schnell verkauft werden. Nur Weniges, aber Feines, ist verblieben. Trotzdem war es wichtig, diesen historischen Boden besucht und betreten zu haben.

Am nächsten Tag ging es weiter nach Viersen, wo Anatol einen mächtigen Steinkreis mit etwa 100 Meter Durchmesser geschaffen hat. Weiterhin befindet sich im Rathauspark eine sehenswerte Skulpturensammlung. Dort ist auch eine Institution ansässig, die Kunstwerke auf Rädern unter dem Motto »Heute schon von Kunst berührt?« befristet an entlegenen Orten ausstellt. Als letzte Stadt besuchten wir noch Krefeld, wo Beuys 1921 geboren wurde. An seinem Geburtshaus erinnert nur eine kleine Tafel an ihn. Krefeld ist weltberühmt für seine zwei Beuys-Räume im Kaiser Wilhelm-Museum. Der damalige Direktor hatte eine glückliche Hand in Kunstdingen sowie das Geld eines Industriellenehepaares, um Krefeld zu einem wichtigen Umschlagplatz für Kunst auszubauen. Sehr viele Kunstwerke mussten inzwischen allerdings wieder verkauft werden, weil das Besitzerehepaar sie dem Museum nicht für immer vermacht hatte.

Allerdings sind die zwei Beuysräume bis zum heutigen Tag geblieben. Heute steht deshalb in Krefeld ein wichtiges Schlüsselwerk von Beuys, dessen Einzelteile von ihm selbst so platziert wurden, dass es als eingerichtetes Kraftfeld die Arbeitsweise von Beuys untermalt. Am letzten Tag führte der Radweg dann wieder zurück nach Düsseldorf-Meerbusch. Dabei machten wir einen Abstecher zur PaxChristi-Kirche. Beuys hatte dort zu Lebzeiten mehrfach Werke ausgestellt und seinerzeit mit den Kirchenbesuchern über Kunst diskutiert. Der damalige Pfarrer war ein großer Kunstliebhaber und hatte im Garten der Kirche beeindruckende Skulpturen ausgestellt, die man auch heute noch kostenlos besichtigen kann – ein Tipp, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Insgesamt war diese Radreise für uns ein voller Erfolg, weil sie Beuys nicht nur in weiß gestrichenen Museumsräumen präsentierte, sondern uns auch Land und Leute näherbrachte, die den Dialekt von Beuys sprechen und so seinen Geist atmen.

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